Wer sind die Schildbürger?
Ob Du schon mal was von den Schildbürgern gehört hast? So wurden die Menschen, die in
der Stadt Schilda lebten, genannt. Die Schildbürger waren ursprünglich sehr gescheite Leute,
die zunächst ständig um Rat gefragt wurden und schließlich in der ganzen Welt als
Bürgermeister, Fürsten und Minister eingesetzt wurden. Das war zu einer Zeit, in der nur
Männer solche Ämter ausüben durften. Und so blieben irgendwann nur noch Frauen und
Kinder in Schilda zurück. Einige Zeit ging das ganz gut, obwohl die Frauen nun die doppelte
Arbeit zu erledigen hatten: Ihre eigene und die ihrer Männer. Doch wie Ihr Euch sicher
denken könnt, war es den Frauen eines Tages einfach zu viel. Sie mussten pflügen, säen und
ernten. Die Kinder unterrichten, die Ernte verkaufen, Korn mahlen, Zähne ziehen, Brot
backen, Schuhe reparieren, Bäume fällen, Diebe einsperren, Predigten halten, Glocken läuten,
Wiesen mähen, Häuser bauen, Möbel reparieren und so weiter und abends noch im Wirtshaus
sitzen. So schrieben sie Briefe an ihre Männer und holten sie zurück.
Kaum waren die Männer wieder in Schilda kamen schon die ersten Boten, die sie wieder als
schlaue Ratgeber brauchten und zu ihren Ministern machen wollten. Deshalb beschlossen die
Schildbürger sich von nun an dumm zu stellen…Nur der Schulleiter hatte Bedenken:
„Wer sich gescheit stellt, wird davon noch lange nicht richtig gescheit.
Ich bin aber nicht sicher, ob man eines Tages wirklich dumm wird, wenn man sich lange genug dumm stellt!“
Die Schildbürger bauen ein Rathaus
Die Schildbürger beschlossen ihr neues Rathaus nicht viereckig,
sondern dreieckig zu bauen. Damit wollten sie nämlich berühmt
werden. Gleich am nächsten Tag machten sie sich in aller Frühe an
die Arbeit. Und nach sechs Wochen hatten sie die drei Mauern
fertig. Zum Marktplatz hin war ein großes Tor ausgespart worden.
Nun fehlte nur noch das Dach und das war bald fertig gestellt.
Zur Einweihung kamen alle Bürger aus Schilda in ihren Festtagskleidern,
um ihr neues Rathaus zu besichtigen. Sie stellten sich in einer langen Reihe
auf und marschierten hinein. Doch noch bevor alle drin waren gab es drinnen ein großes
Durcheinander: es gab Zusammenstöße, sie stolperten über
irgendwelche Füße, stießen mit den Köpfen zusammen und
beschimpften sich ärgerlich. Wer drin war, wollte schnell heraus
und wer draußen war, wollte unbedingt hinein. Das war vielleicht
ein Gedränge! Am Ende landeten alle mit Beulen und blauen
Flecken im Freien und überlegten, was eigentlich passiert sei.
Einer wusste es: „In unserem Rathaus ist es finster!“
Wieder gingen die Diskussionen los, bis es ein anderer erklären konnte:
„Ich hab‘s! In unserem neuen Rathaus ist es finster, weil kein Licht drin ist!“
Also beschlossen sie Licht ins Rathaus zu tragen.
Am nächsten Morgen trafen sie sich auf dem Marktplatz mit
Eimern, Fässern, Säcken, Töpfen und Waschkörben.
Außerdem hatten sie Schaufeln, Besen, Mistgabeln und Seile dabei.
Nun schaufelten sie das Sonnenlicht in Eimer und Fässer und
schütteten das Licht ins dunkle Rathaus, rannten wieder hinaus
und füllten Körbe, Säcke und Eimer aufs neue.
So arbeiteten sie bis zum Sonnenuntergang. Erschöpft wischten sie sich den
Schweiß von der Stirn und betraten dann gespannt das Rathaus. Sie rissen ihre Augen auf,
aber es war immer noch genau so dunkel wie am Tag zuvor. Traurig standen sie auf dem
Marktplatz zusammen, als ein Fremder dazukam, der fragte, was denn los sei. Er hörte sich
die Geschichte an und merkte gleich, dass diese Leute nicht die allerschlausten sind. Er gab
den Schildbürgern den Rat das Dach des Rathauses abzudecken, dann wäre es sofort hell im
Rathaus. Die Schildbürger überlegten und sagten zu dem Fremden: „Wenn dein Rat gut ist,
darfst du in Schilda in unserem Gasthaus umsonst wohnen und essen und trinken so lange du willst.“
Der Fremde ging sofort ins Gasthaus, nahm sich ein Zimmer und bestellte ein leckeres Festessen für sich.
Am nächsten Tag deckten die Schildbürger das Dach ab und sofort war
es im Rathaus hell. Nun konnten die Schildbürger endlich ihre
Gemeinderatssitzungen abhalten und alle Schreibarbeiten erledigen, die
wegen der Finsternis liegen geblieben waren. Der Fremde lebte auf ihre
Kosten im Gasthaus und kriegte einen Bauch vom guten Essen.
Das ging lange Zeit gut. Bis der Herbst dunkle Wolken brachte und ein Platzregen mit Sturm losging.
Der Sturm blies sämtliche Formulare durcheinander und alle Rathausmitarbeiter wurden
nass bis auf die Haut. Sie begannen zu niesen und rannten schnell nach
Hause, wo sie sich ins Bett legten und heißen Tee tranken.
Am nächsten Tag kamen sie mit dicken Schals und roten Nasen ins
Gasthaus, um den Fremden zu fragen, was sie denn nun machen sollten.
Doch der war nicht mehr da. So versuchten sie es noch eine Weile ohne Dach. Als der erste
Schnee fiel und sie halb gefroren wie die Schneemänner ihre Arbeit machten, stellte einer den
Antrag das Dach für die kalte Jahreszeit wieder in Ordnung zu bringen. Alle waren dafür und
alle halfen mit. Allerdings war es nun natürlich wieder stockfinster im Rathaus. Dieses Mal
wussten sich die Schildbürger selbst zu helfen: Jeder steckte sich einen brennenden Holzspan
an den Hut. Das war nicht besonders hell, aber sie konnten sich wenigstens erkennen.
Allerdings flackerten die Späne nach kurzer Zeit und nicht lange danach gingen sie aus und
alle saßen wieder im Dunkeln. Es war ganz still, alle waren wütend und ärgerlich. Plötzlich
rief einer aufgeregt: „Da, ein Lichtstrahl!“ Es war wirklich einer!
Die Mauer hatte einen Riss bekommen und durch diesen leuchtete ein Sonnenstrahl.
Da kapierte es einer: „Mensch, sind wir dumm. Wir haben ja die Fenster vergessen!“
Alle rannten nach Hause und holten Werkzeuge.
Am gleichen Abend waren die ersten Fenster fertig.
So wurden die Schildbürger doch noch berühmt.
Doch nicht wegen ihres dreieckigen Rathauses,
sondern durch die vergessenen Fenster!